Tagebuch der Ärztin Rebecca - geschrieben am 30. April 2015

25. April

Ein Erdbeben der Stärke 7,8 Streiks, um 11:56 Uhr (Ortszeit), mit Epizentrum in der Lamjung nordwestlich von Kathmandu. Es ist die stärkste und tödlichste Katastrophe Nepals seit 1934.

26. April

Ich und mein Kollege Josh werden durch unsere Organisation gebeten, ein medizinisches Nothilfe-Team in Pokhara zu unterstützen. Auf Einladung von der nepalesischen Regierung arrangieren sie einen Hilfseinsatz in Gorkha. Gorkha ist sehr nahe dem Epizentrum und stark von Erdbeben am Samstag betroffen.

27. April

Wir treffen uns um 5 Uhr mit 10 Personen des medizinischen Einsatzteam. Der Leiter fährt uns mit dem Jeep nach Gorkha. Neben mir sitzt ein Medien-Korrespondent. Er ist ständig am Telefonieren, um alle neuen Informationen an BBC, CNN und anderen wichtigen Nachrichtenquellen weiter zu geben. Dies ist eine völlig neue Perspektive für mich.

Wir richten 2 Außenkliniken in zwei verschiedenen Dörfern ein. Zu Fuß sind diese ein paar Stunden von Gorkha entfernt. Dort kommen etwa 400 Patienten auf vier allgemeine Ärzte.

Wir verbringen die Nacht unter einer großen provisorischen Plane am Gorkha Armee Camp.

28. April

Nach einem Treffen mit unseren Teamleitern und Gesundheitsbeamten wird die Entscheidung getroffen, ein Team mit dem Hubschrauber zu einem abgelegenen Teil der Gorkha-Gegend für die medizinische Versorgung zu schicken. Sie sollten nach dem Einsatz zurück zu wandern. Josh und ich werden dafür ausgewählt. Die Taschen hastig verpackt sind wir innerhalb von zwanzig Minuten auf dem Weg zum Hubschrauberlandeplatz. Dort dauert es drei Stunden, bis wir einen verfügbaren Hubschrauber bekommen. Während dem Warten werden wir von Reportern von den Financial Times, Associated Press, Du Monde und The Guardian befragt. Wieder einmal merke ich, dass ich noch nie in meinem Leben in solch einer Situation war.

Um 1:15 Uhr heben wir ab, begleitet von einem Nepali Reporter und einer jungen Frau, die versucht zurück in ihr Dorf zu kommen, welches unser Ziel ist. Ihr Name ist Urmila und sie wird uns durch ihre Erklärungen zu den Feinheiten der Kultur ihres Dorfes von unschätzbarem Wert. Auf dem Weg machen wir Luftaufnahmen von einem Dorf nach dem anderen, welche durch das Beben völlig eingeebnet erscheinen.

Wegen schlechtem Wetter und schlechter Sicht ist unser versierter Pilot gezwungen, in Mitte der Route auf dem Gipfel eines Berges zu stoppen. Dort warten wir auf besseres Wetter. Nach einer Stunde verbessern sich die Bedingungen, so dass der Flug wieder aufgenommen werden kann. Kurz darauf erreichen wir unser Ziel. Dort stehen wir Auge in Auge mit ca. siebzig Dorfbewohner, die vergeblich versuchen, sich mit Jutesäcken über dem Kopf vor dem Regen zu schützen. Wir entdecken, dass es buchstäblich kein Dach mehr über dem Kopf gibt.Schließlich entscheiden einige der Dorfbewohner, uns zur ehemaligen Keraunja Gesundheitsstation zu bringen. Dies war vor dem Beben der einzige Gesundheitsposten, der in sechs Stunden zu Fuß zu erreichen war. Straßen und Fahrzeuge existieren auf diesem Gelände nicht. Wir versorgen hier erstmal die Patienten.

Zunehmend besorgt über die Lage, da durch den Regen die wenigen Wege durch die Erdrutschgefahr immer gefährlicher werden, suchen wir eine neue Lösung, um wieder zum Basislager zu gelangen. Doch ohne Mobilfunknetz und schwindende Batterieleistung sind wir nicht in der Lage, mit dem Basis-Team in Gorkha Kontakt aufzunehmen.

Es regnet. Wir sind nicht sicher, ob und wo wir die Nacht verbringen werden. Total begeistert sind wir, Planen, Matten und Decken zu entdecken, die der Hubschrauber geliefert hatte. Noch nie in meinem Leben freue ich mich derart über diese notwendigen Dinge. Ich musste vor Erleichterung über den Inhalt dieses Plastiksackes lachen. Es war so schön, nun nicht bei den Blutegeln im Schlamm schlafen zu müssen. Uns belastet es sehr, dass dies für die Erdbebenopfer jedoch Realität ist, denn es gibt buchstäblich keinen anderen Ort, um sich hinzulegen. Nach einer kleinen Mahlzeit des Dal Bhat (Reis und Linsen), die von ein paar der Frauen über offenem Feuer gekocht wird, nehmen wir unsere Plätze mit dem Rest einer Familie in einer langen Reihe angeordnet unter der Plane ein, und versuchen, etwas zu schlafen .

29. April

Um 6 Uhr wandern wir wie geplant den Bergrücken hinauf und schaffen es, unseren ersten Kontakt mit dem Rest des Teams in Gorkha aufzunehmen. Wir berichten ihnen über die Situation hier vor Ort. Ein Hubschrauber zur Evakuierung für uns selbst und drei weitere verletzte Patienten wird beordert. Zuvor werden wir noch von ein paar Dorfbewohnern aufgefordert, in ein anderes Dorf weiter unten am Berg zu wandern, um dort Bewohner medizinisch zu versorgen.

Ich versorge zwei weitere Patienten mit ziemlich schweren Quetschverletzungen und sehe die Notwendigkeit, dass diese evakuiert werden müssen. Plötzlich sehen wir einen indischen Armee-Hubschrauber über dem Tal unter uns kreisen und wie er für eine Landung ansetzt. Da es keine Möglichkeit gibt, diesen per Funk oder Telefon zu erreichen, um sie über die Situation hier aufzuklären, laufen wir den Berg hinunter, um sie noch zu erwischen, bevor sie die Verbrauchsmaterialien hier lassen und wieder weiter fliegen. Es ist eine Herausforderung, sinnvoll zu kommunizieren, aber irgendwie schaffen wir es, den Piloten unser Anliegen zu erklären. Zusätzlich bekommen wir die Botschaft über fünf weitere verletzte Patienten und können diese noch zu uns holen. Der Hubschrauber nimmt uns dann alle mit. So beginnen wir die Reise zurück nach Pokhara und gelangen um 12.30 Uhr wieder auf festen Boden, weniger als 24 Stunden nach dem Start von Gorkha Bazar. Es fühlt sich an wie ein Jahr.

Postskriptum

In diesem völlig surreal, auch bizarrem Zeitraum fühlte ich mich zwischen zwei emotionalen Polen hin und her gezogen - auf der einen Seite die sehr realen Ängste und Sorgen um meine körperliche Sicherheit in der Mitte dieser Krisensituation. Auf der anderen Seite aber die Sicherheit, dass ich vollkommen und vollständig fest in der Hand des allmächtigen Gottes gehalten bin.